Yoga und Osteopathie:

Zwei Fachgebiete, die sich ergänzen

 

Dr. Marco De Matteis

Osteopath D.O.M.R.O.I., Physiotherapeut

 

Dieser Artikel wurde veranlasst durch meine Intervention an der Konferenz „Gesundheit und

Langlebigkeit mit Yoga und Ayurvweda“ im Rahmen des Projekts Grundtvig (Programm für

andauerndes Lernen, unerstützt vom Erziehungs- und Kulturdepartement der Europäischen

Gemeinschaft). Die Konferenz wurde von der Vereinigung Yoga Salento in Zollino (Lecce)

organisiert und fand im April 2013 statt.

Ich bin Physiotherapeut und Osteopath und habe vor einigen Jahren begonnen, mich mit

Yoga vertraut zu machen. Die Wohltaten, die ich dabei an meinem Körper von Anfang an

erfahren habe, sind so einschneidend gewesen, dass ich mich für dieses Fachgebiet immer mehr

begeisterte. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, als ich für einen Vortrag für die obige Konferenz

angefragt worden bin. Es fiel mir leicht, ein Thema vorzubereiten, auch wenn ich sehr aufpassen

musste bei der Auswahl der Informationen, die zu meinem Thema in grosser Fülle vorliegen. So

habe ich mich entschieden, über Yoga aus dem Blickwinkel meiner beruflichen Erfahrungen zu

sprechen, indem ich einige Vergleiche zur Osteopathie mache; ich halte diese beiden Fachgbiete

für verwandt und komplementär.

 

Zur Einleitung ein Zitat von Andrew Taylor STILL, dem Begründer der Osteopathie:

„Wenn alle Teile des menschlichen Körpers harmonisch sind, sind wir vollkommen gesund. Wenn

dem nicht so ist, werden wir krank. Wenn die Teile wieder gerichtet sind, überlässt die Krankheit

ihren Platz wieder der Gesundheit.“

 

Was Yoga und Osteopathie vor allem verbindet ist die ganzheitliche oder

biopsychosoziale Sichtweise. Gesundheit und Wohlbefinden basieren auf natürlicher und

korrekter Lebensweise und Gewohnheiten (beginnend mit der Ernährung und physischer

Aktivität), sowie auf einer positiven Einstellung gegenüber sich selbst, den andern und dem

persönlichen Lebensraum. Dies sind zweifellos grundsätzliche Gesichtspunkte des Yoga.

 

In dieser Globalvision sieht die Osteopathie den Menschen als ein Miteinander von:

Materie, verstanden als Struktureinheit des Muskel- und Knochensystems

Bewegung, unser Motor für unsere Emotionen, die mit dem Eingeweidesystem eng

verbunden sind

Geist, der mentale, kognitive Teil, der vom Nervensystem vermittelt und in der

Osteopathie in der dura Mater (Hirnhaut) lokalisiert wird.

 

Jegliches Fachgebiet, das auf das Wohlbefinden des Einzelnen abzielt, will auf das

Lebenspotential einwirken. Das Lebenspotential wird durch die „Lebenserwartung“ definiert. Wir

alle, als biologische Wesen, beginnen mit einem PVO (anfängliches Lebenspotential), das aus

dem möglichen Lebensalter der Gewebe bei idealen Voraussetzungen besteht. Dieses PVO

reduziert sich vom Moment der Geburt an zu einem PVA ( dem aktuellen Lebenspotential), das

sich für jedes Individuum in jedem Augenblick ändert aufgrund von Essgewohnheiten, Lebensstil

und aus psychologischen Gründen. Es geht darum, das PVA zu erhöhen, es dem PVO

anzunähern,

 

In einem solchen Diskurs kann ich nicht anders, als folgendes Zitat anzufügen:

 

„Wir sind die Urheber unserer Realität“

Alles, was sich im Makrokosmos (unserer Umwelt) ereignet, ist nichts anderes, als eine

Projektion dessen, was im Mikrokosmos (unserer Innenwelt) geschieht. Die Dinge, die wir sehen

oder mit unseren fünf Sinnen wahrnehmen, werden von jedem von uns verschieden interpretiert,

weil unsere Art des Filterns sich auf unseren bisherigen Erfahrungen und Assoziationen (Mentale

Karten) basiert. Die Gedanken, die Ueberzeugungen und die Wahrnehmungen bedingen jede

einzelne Zelle unseres Körpers: Das Erkennen der Macht unserer Emotionen wird zum

Geheimnis unserer Gesundheit.

Schon seit einiger Zeit befasst sich die Wissenschaft mit den Mechanismen wie sich

Psyche und Körper miteinander verbinden. Die Psychoneuroimmunologie (PNE) befasst sich vor

allem mit den Zusammenhängen von Denken, Emotionen und dem Immunsystem. Es ist bekannt,

dass die Gedanken und die positiven Emotionen das Niveau der DHEA (Hormon, das Stress

bekämpft und die Zellerneürung fördert) ansteigen lässt wie auch die IgA (Immunglobuli) für die

Abwehr der Krankheiten; dagegen vermindern negative Emotionen das DHEA und die IgA und

erleichtern so das Erscheinen von Krankheiten.

Jemand versucht sogar eine topografische Karte der verschiedenen Krankheiten zu erstellen, die

er mit den leidenden Körperzonen verbindet, den ungelösten emotionalen Konflikten.

Offensichtlich kann nie etwas verallgemeinert werden, eine solche Schematisierung ist immer als

mögliche und nicht als absolute Wahrheit zu betrachten. Sie ist von Fall zu Fall im persönlichen

und sozialen Kontext zu sehen, indem die aktuelle und die vergangene klinische Geschichte

erforscht wird.

 

Wir betrachten eine psychosomatische Sichtweise als geltungswürdig, ebenso gilt dies

auch für eine somatoemotionale Sichtweise d.h. dass Körperarbeit helfen kann, sich von

schädlichen Emotionen zu befreien, die oft im Unbewussten versteckt sind. Mit dieser Absicht

arbeiten sowohl Yoga wie auch die Osteopathie.

           

Alexander Lowen spricht von Bioenergetik und beschreibt Atmung, Stoffwechsel,

Energie und Bewegung als Grundfunktionen des Lebens. Die Atmung ist die Lebensgrundlage

für jede Funktion, da sie den Zellen den nötigen Sauerstoff zuführt für den Metabolismus.

Der Stoffwechsel erlaubt die Energieproduktion, die der Organismus für jede Aktivität benötigt,

darunter auch die Bewegung als der letzten Auswirkung der Zellfunktion. Die Menge der

Energie, die zur Verfügung steht und deren Gebrauch bestimmen die Art und Weise, wie auf die

Lebenssituationen reagiert wird. Geist und Körper können sich gegenseitig beeinflussen. Diese

Interaktion ist zwar auf die bewussten und oberflächlichen Aspekte der Persönlichkeit

reduziert. Auf einem tieferen Ebene, das heisst im Unterbewussten sind sowohl das Denken als

auch das Hören von Energiefaktoren konditioniert. Die energetischen Prozesse des Körpers

stehen in Verbindung mit der Vitalität des Körpers. Bei der Geburt ist ein Organismus im

lebendigsten und flüssigsten Stadium. Im Tod ist die Steifheit total, man ist im Rigor mortis.

 

Wir können der Steifheit nicht entgehen, die mit dem Alter kommt.

 

Das, was wir vermeiden können, ist die Steifheit, die durch chronische Muskelkontraktion

bei Dauerstress entstehen. Jeder Stress produziert einen Spannungszustand im Körper. In der

Regel verschwindet die Spannung, wenn der Stress vorbei ist. Die chronischen Kontraktionen

dauern jedoch auch nach dem Ende des Stress, der sie hervorgebracht hat, an als körperliche

Haltung oder unbewusster Muskelzustand. Sie stören die emotionale Gesundheit indem sie die

Energie des Individuums reduzieren, die Beweglichkeit und die Selbstdarstellung eines

Individuums einschränken.

 

Es wird dadurch notwendig, diese chronische Kontraktion ein bisschen zu lösen, um der

Person Vitalität und emotionales Wohlbefinden zurückzugeben. Das Yoga tut dies durch eine

selbstgesteuerte oder von einem Lehrer angeleitete Übung, um in Kontakt zu kommen mit den

eigenen Spannungen und diese zu lösen durch Bewegung, Atmung und Körperbewusstsein. Die

Osteopathie benutzt eine persönliche therapeutische Sitzung mit einem Osteopathen, um die Zone

der grössten Kontraktion zu finden und ihr wieder Beweglichkeit zu vermitteln.

 

Der Allgemeinzustand der Funktionalität des Körpers zeigt sich in der Körperhaltung.

Sie ist die Grundhaltung, die der Körper in jeder Lebenssituation in seiner räumlichen

Ausrichtung annimmt. Sie bestimmt Haltung, Kommunkationsweise, die Interaktion einer Person

mit sich und mit der Umwelt. Die Körperhaltung wird von psychologischen, somatischen,

sozialen und umweltbedingten Faktoren beeinflusst; hauptsächlich aber vom Willen und von der

Möglichkeit. Ich möchte diese beiden letzten Faktoren unterstreichen, weil sie die Verantwortung

eines jeden für seine eigene Gesundheit beinhalten. Die Körperhaltung ist das Resultat der

Interaktion von Rezeptoren, Verarbeitung und Ausführung, die aufs Beste zusammenarbeiten

müssen um den Gesundheitszustand zu erhalten, mit dem Ziel die drei Grundbedürfnisse des

Organismus zu befriedigen:

 

Gleichgewicht (Befürfnisbefriedigung)

Haushalt (Verminderung von Energiekonsum)

Wohlbefinden ( Entfernung des Schmerzes)

 

Die Arbeit mit den Asanas (Übungen im Yoga) oder die manipulativen Techniken der

Osteopathie haben das Ziel, das Rezeptoren-System zu stimulieren, wo es möglich ist (Augen,

Gehör, Gelenke, Schläfen und Kinn, Haut, Gesäss, System der Selbstwahrnehmung, Eingeweide),

um so eine Wirkung zu erreichen auf die Muskulatur von Statik und Dynamik (Körperhaltung

und Bewegungsweise).

Offensichtlich arbeiten Yoga und Osteopathie auf verschiedene Art und Weise und darüberhinaus

gibt es Defizite die zur Pathologie gehören, auf die man keinen wirksamen Einfluss haben kann.

Deshalb ist es immer notwendig, wo eine Krankheit vorliegt, über physiopathologische

Kenntnisse zu verfügen. Es braucht die Fähigkeit, das Krankhafte zu erkennen, um die absolute

Sicherheit zu haben, der Person nicht zu schaden.

 

In den Veränderungen der Haltung kann sich das Schwerpunktzentrum von vorne nach

hinten und oder umgekehrt verschieben; das kann zur Folge haben, dass sich das Individuum mit

einem konstanten Zusammenziehen der gegenüberliegenden Muskeln anpasst. Eine schlechte

Postur bestimmt Veränderungen im statischen und dynamischen Verhalten (verursacht durch die

strukturelle und mentale Logik, die4 sich mit zunehmendem Alter desorientiert - Erhöhung des

Lebensalters). Krankheiten von Muskeln und Sehnen, Gelenken nehmen zu und die Organe

funktionieren weniger gut.

 

Die Zeit wird deshalb zum bestimmenden Faktor. Die Prävention wird zunehmend

wichtiger!

 

Ich habe die Funktionsorgane der Körperhaltung genannt, die Muskeln, und ich muss

erwähnen, dass diese nicht als einzelne handeln, mindestens in dieser Funktion, sondern mit einer

Reihe von andern Muskeln zusammenarbeiten. Diese sind in ihren eigenen Kettenabläufen

organisiert. So kann die kinetische, das heisst, die bewegungsbezogene Muskulaur in vier

hauptsächliche Ketten gefassst werden:

vordere Aufrichtkette (Beugungskette): sie verbindet D1 (standardisierte

Heilmittelkombination in der Physiotherapie) mit dem Sakralknochen, indem sie Relais

auf dem Brustbein nimmt, auf dem Schambein, dem Steissbein mit dem Hin und Her der

Muskeln zwischen den Rippen, den mittleren und grossen, den aufrechten und des

Beckenbodens.3

hintere Aufrichtkette (Dehnungskette): gebildet vom Rückgrat, den Bandscheiben und

den paravertebralen Muskeln mit der vorwiegenden Funktion der Beziehung zu den

kurzen Muskeln, es ist wie eine Sprungfeder, die ausgleicht und moderiert die

Ausrichtung der vorderen Achse.

gekreuzte vordere Ketten (CCA): Links (von der halben linken Beckenhöhe zum

rechten Brustkorb) und rechts (von der halben rechten Beckenhöhe zum linken

Brustkorb)

gekreuzte hintere Ketten (CCP): links (von der halben Beckenhöhe zum rechten

Brustkorb) rechts (von der halben rechten Beckenhöhe zum linken Brustkorb).

Die statische Muskulatur, die die Verbindungsfunktion hat, ist jedoch gebildet aus drei

Muskelketten:

Skelett-Muskelkette( hängt zusammmen mit dem Skelett, den Bändern, Druck innerhalb

des Brustkastens, Druck im Unterleib)

Kette der Blutbahnen

Kette der Eingweide

 

Der Sinn dieser Ausführungen ist die Erklärung, wie Yoga und Osteopathie ihre Arbeit

mit dem Körper verstehen. Das Yoga mit seinen Asanas arbeitet an ganzen Bewegungsketten,

indem es das Bewusstsein und die bewusste Kontrolle für den ganzen Körper vom Aufdruck der

Füsse bis zur Blickrichtung erfasst, die Atmung, den Unterleibsgürtel und das Einwirken des

Eingeweidesystems.

Die Osteopath beginnt mit einer Beobachtung des Zusammenspiels des Skelettmuskel-Systems,

das Eingweidesystems, des Schädel-Wirbelssäule-Systems um Dysfunktionen zu behandeln, die

an der Basis von Veränderungen von Körpergewebe stehen und sich in verschiedenen auch

entfernten Körperzonen befinden können.

 

Sehr eng verbunden mit den Muskelketten ist das Zwerchfell und wird sowohl von den

Praktikern des Yoga wie auch von den Osteopathen in grossem Ausmass in Betracht gezogen. Es

ist ein Muskel, der an der Statik wie auch der Dynamik beteiligt ist. Seine hinteren

Anknüpfungen sind vor allem in Beziehung zu den Dehnungsmuskeln; sein vorderer Strang ist in

bevorteilter Lage mit der Beugungsmuskulatur mittels der grossen Bauchmuskeln, die seitlichen

Stränge hingegen sind mit den gekreuzten Ketten verbunden.

Das Zwerchfell hat viele direkte Verbindungen mit verschiedenen Organen des Brustkorbs und

des Bauches, Herzkammern, Rippenfell der Lunge, Leber, Nieren, Nebnnierendrüsen, Milz,

Magen und Bauchspeicheldrüse.

Das Zwerchfell ist in verschiedene Funktionen bedeutsam:

Atmung (vom Zwerchfell beginnt und endet das Leben, schrieb Still), Gleichgewicht zwischen

Brustkasten und Bauchhöhle, bei der Geburt, beim Urinieren, Stuhlgang, Stimmmodulation,

Husten, Statik und Dynamik (mittels Kuppel und Säulen), Biomechanik des Bauches, der

Verdauung (Speiseröhrenöffung), Emotionen.

Das Zwerchfell ist der Schlüsselpunkt des Lebens, es arbeitet andauernd, aber mit Unterbrüchen,

deshalb ist es nie von sich aus schwach. Es geschieht jedoch sehr häufig, dass das Zwerchfell

andauernd kontrahiert ist, blockiert in seinem Bewegungsraum, und in diesem Fall ist es nötig, es

mittels Intervention zu befreien. Das Zwerchfell ist der Katalysator für Beckenboden und

Eingeweide. Wird es gelöst, erreicht man dadurch eine emotionale Entspannung.

Das Yoga wirkt durch Übungen des Bewusstseins und Verlängerug des Zwerchfells; die

Osteopathie durch die Befreiung des Zwerchfells und die mit ihm entfernt verbundenen

Muskelsysteme, die es an seiner vollumfänglichen Funktion eingeschränkt haben.

 

Deshalb kann man das Yoga sehr gut als Disziplin für Körper und Geist bezeichnen,

sicher aber als Unterstützung und wirkungsvolle Hilfe der Osteopathie. Die ganzheitliche

Sichtweise und das Arbeiten an grundsätzlichen Funktionen macht diese Fachgebiete ähnlich; sie

haben zum Ziel das vollkommene Wohlbefinden durch positives Einwirken auf Muskelsystem,

Atmung, Eingweide, auf die psychologisch-emotionale-und motivationale Ebene.

 

Ich schliesse mit einem Zitat von Eduard Bach, ganz zum Thema: „Die Gesundheit ist

unser Gut, unser Recht. Es ist die vollkommene harmonische Einheit von Seele, Körper und

Geist; es ist ein Ideal, das nicht so schwer zu erreichen ist, etwas Leichtes und Natürliches, das

viele von uns vernachlässigt haben.“

Ich wünsche mir, dass die Lektüre dieses Artikels einen Anreiz zum Nachdenken und einer

Gewissensprüfung gibt, dass sie eine Bewusstwerdung und grössere Selbsterkenntnis ermöglicht.

 

20. Mai 2013